Wintertraum (eine Fiktion)

Illustration nach einem Fensterbild

Illustration nach einem Fensterbild

Die Tür öffnet sich und ich trete hinaus. Hinaus in den herrlich weißen Schnee, der bei jedem meiner Schritte leise knirscht. Kleine weiße Atemwölkchen signalisieren mir die kalte Luft. An der kleinen Kapelle, die mir schon vorher bei meinem Blick aus dem Fenster aufgefallen war, stapfe ich vorbei. Sie sieht wirklich haargenau so aus wie auf dem Fensterbild, dass meine Großmutter immer zur Adventszeit ins Fenster gehangen hatte. Das warme Licht, das aus ihren Fenstern scheint, lässt die Schneekristalle, die meine Füße aufwirbeln, wie goldener Sternenstaub glitzern. Leise klingen Orgeltöne an mein Ohr und verhaltene Stimmen singen eine Weihnachtsmelodie, die mir bekannt ist.

Langsam nähere ich mich dem Waldrand (eigentlich müsste es kälter sein) und tauche zwischen die hohen Bäume ein. Der Wald ist so gar nicht dunkel und unheimlich wie ich erwartet hatte. Der reflektierende Schnee taucht ihn in ein schimmerndes, diffuses Licht. Auch stehen die Bäume nicht besonders dicht. Man müsste hier eigentlich Langlauf machen können. (Wird das überhaupt angeboten?) Der Wald ist jäh zu Ende und macht einem großen schneebedeckten Feld Platz. Ich schaue nach oben und sehe einen Sternenhimmel wie ich ihn mein Lebtag noch nicht gesehen habe. Sind da draußen wirklich so viele Sterne? Während ich hinauf in den klaren Sternenhimmel schaue fällt mir ein altes Weihnachtslied ein, das ich in meiner Kindheit sehr geliebt habe:

„Es ist für uns eine Zeit angekommen, die bringt uns eine große Freud. …“

Ein sanfter Abhang neigt sich einem verschneiten Seeufer zu. Ich gehe hinunter zum See. Er ist zugefroren und ich kann im Mondlicht verschiedene Tierspuren auf der verschneiten Eisfläche erkennen. Die Büsche, die rechts und links von mir aufragen, tragen auf ihren Ästen kleine Schneehauben. Sie wirken bizarr und irgendwie unheimlich. Leises Glockenläuten mischt sich zwischen das Knistern des Schnees und des Eises.

Auf der anderen Seeseite erkenne ich die Lichter einer verträumten Ortschaft und zwischen ihr und dem Seeufer ist tatsächlich ein kleiner Weihnachtsmarkt zu sehen. Ich nehme einen Duft wie von frisch gebackenen Waffeln war. (Kann das überhaupt sein, dass der bis hierhin wahrnehmbar ist?) Ich wende mich nach links um den See zu umrunden, muss dann aber feststellen, dass der See in ein Flüsschen übergeht das ich nicht überqueren kann. (Was würde wohl passieren wenn ich einfach durch das Wasser gehe?) Von der anderen Seite höre ich Vogelgezwitscher (Vogelgezwitscher im Dunkeln, im Winter? Etwas unpassend.)

Ping …, das Geräusch lässt mich zusammenzucken und die schnarrende Stimme die folgt ist unangenehm: „Sehr verehrter Kunde! Ihr gebuchtes Zeitfenster ist nun leider beendet. Sollten Sie eine Verlängerung wünschen so drücken Sie bitte die eins, wenn Sie Ihre Reise beenden wollen die zwei und …“, ich drücke die zwei. „Vielen Dank für Ihren Besuch und beehren Sie uns …“ Den Rest höre ich nicht mehr, da ich bereits den Helm abgenommen habe und dabei bin die Lauffläche zu verlassen. Nachdem ich Helm, Handschuhe und Stiefel an der Rezeption abgegeben habe und das Fensterbild meiner Oma wieder in Empfang genommen habe, mache ich mich auf den Heimweg. Vorbei an den bunten Werbetafeln der Reiseagentur, die mit ihren Träumen locken „Erleben Sie IHREN Wintertraum“ oder „Karibische Gefühle – lassen Sie den Alltag einfach hinter sich“. Es wird Zeit, dass ich nach Hause komme. In den nächsten Stunden soll der Sturm, der mich draußen empfängt, eine Stärke von über 180 km/h erreichen, der vierte dieser Kategorie seit Oktober.

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